Am Nachmittag des 6. Juli 2011 verlassen wir Ua Pou und segeln gemeinsam mit Freyja und der Double Moon nach Kauehi in den Tuamotus. Motu heißt kleine Insel. Und so ein Atoll besteht aus ellipsenförmig gelegenen kleinen Inselchen mit Riffen dazwischen. Oft gibt es ganz lange Riffstücke und das ist für die Boote gefährlich, weil sie knapp unter der Wasseroberfläche sind und man sie nicht gut sehen kann. Deshalb wurden diese Inseln früher nur sehr selten angefahren. Glücklicherweise gibt es inzwischen GPS und gute elektronische Karten und Radar. Bei größeren Atollen gibt es ein oder zwei Pässe, durch die man in die Lagune einfahren kann. Manche Pässe sind sehr eng und daher nur schwer befahrbar oder man muss sogar wegen der Korallen enge Kurven nehmen. Deshalb muss man genau auf den Wind und die Tide achten (Ebbe und Flut), weil es dann sehr starke Strömungen gibt, sodass man auf das Riff oder Korallenköpfe getrieben werden könnte. Vor den Pässen ist das Meer meist hunderte Meter tief, während es im Pass nur 5-10 Meter sind, dadurch bilden sich Wellen, die bei stärkerem Wind oder Seegang gefährlich hoch werden können.

Wir kommen in den ersten Tagen gut voran. Der Wind bläst mit 5-6 Beaufort, was uns eine rasante Fahrt beschert. Einzig und allein die Wellen sind etwas lästig, da sie ziemlich dicht hintereinander daherkommen.
Die Stimmung an Bord ist gut und wir bereiten uns für die Nacht vor. Eric geht runter um uns den üblichen Abendtee zu kochen. Kurz nachdem der Teekessel gepfiffen hat, höre ich von unten ein lautes Autsch gefolgt von Flüchen, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte. Erschrocken schaue ich nach unten und sehe Eric mit einem blutüberströmten Auge in der Nasszelle verschwinden. Er wischt sich das Blut aus dem Gesicht und versucht mich gleichzeitig zu beruhigen, was ihm nur allmählich gelingt.
Später erzählt er mir, dass er gerade dabei war, das heiße Wasser einzugießen und daher beide Hände belegt waren, als eine Welle kam, die ihn aus dem Gleichgewicht brachte und er der armen Aroha eine Kopfnuss verpasste. Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass es nur ein kleiner Cut ist, der heftig blutete.
Die restliche Fahrt ist für meinen Geschmack angenehm ereignislos!

Kauehi hat einen sehr breiten Pass und das war für den Anfang eine gute Übung. Im Internet kann man sich ein Excel herunter laden, dass die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers in den jeweiligen Pässen berechnet. Am sichersten ist die Passage, während des Gezeitenwechsels. Das ist für unseren Ankunftstag in Kauehi zu Mittag. Trotzdem sehen wir das Wasser nach der Einfahrt brodeln. Im inneren der Lagune ist es hier sehr tief, deshalb müssen wir erst in Ufernähe beim Ankern auf die Korallenköpfe und Riffbänke achten. So eine Koralle wächst um einen Zentimeter in zehn Jahren, einmal den Anker hineingeworfen oder mit dem Kiel darüber gestrichen und die Arbeit von Jahrzehnten ist vernichtet. Wir ankern gleich südöstlich neben dem Pass. Und hier ist es endlich so, wie wir uns die Südsee vorgestellt haben. Kleine Inseln mit weißem Sand und Palmen und keine Menschenseele außer uns.

Die erste Nacht bleiben wir ganz alleine, dann kommen Antje und Holger auf der Freyja und Walter auf der Double Moon. Es ist absolut windstill und man könnte glauben, dass man einen riesigen Swimmingpool vor der Haustür hat. Es ist echt gigantisch. Über 5m tief aber du kannst am Boden jedes Detail und jeden Fisch sehen. Beim Schnorcheln sehen wir einige Schwarzspitzenriffhaie, die ganz nahe am Ufer schwimmen. Sie sind für den Menschen ungefährlich und ich hoffe auch, dass sie das wissen.

Das Wetter ist ideal, damit ich in den Mast klettern kann, um das Ankerlicht und den Windanzeiger zu reparieren. Ein Fregattvogel hat sich auf den Windanzeiger gesetzt und ihn verbogen. Beim Ankerlicht muss Eric zum Glück nur die Kabelverbindung neu machen. Da kann er gleich ein paar Photos von oben machen.

Mit dem Dinghi erkunden wir den Osten des Atolls und zu Fuß queren wir ein Motu bis zum äußeren Ufer. Dabei finden wir wunderschöne Korallen und Muscheln.

Am Dienstag wird unsere Idylle empfindlich gestört, ein weiteres Segelboot gesellt sich zu uns!Es ist ein französisches Boot namens Lagaffe. Er schwimmt herüber, um mit Eric zu plaudern. Uns fällt auf, dass einen kleinen pseudo-spitzen Stecken in der Hand hält und Eric fragt ihn nach dem Grund dafür. Der wäre als Waffe gegen die Haie gedacht! Mit dem Staberl würde er gegen die dicke Haut der Haie nicht viel ausrichten. Bei Verwendung in einem Panikanfall könnte der Hai sich bedroht fühlen und zur Wehr setzen. Naja, hoffen wir das Beste für ihn! Er berichtet, dass er mit seiner Schwester unterwegs ist und sie vergangene Nacht in ein kleineres Atoll mit einem schwierigeren Pass einfahren wollten, ohne Detailkarten und ohne Informationen über die Tide und Strömungen. Dabei sind sie beinahe aufs Riff gelaufen, konnten aber gerade noch zurück hinaus. Möglicherweise ist der Bootsname kein Zufall. Lagaffe ist eine französische Komikfigur, ein absoluter Tolpatsch, der von einem Malheur ins nächste Fettnäpfchen tritt.

In der letzte Nacht hat es begonnen stärker zu blasen und sich dadurch auch Wellen bilden, sodass das Boot leicht zu schaukeln beginnt. Davor hat es sich nicht ein bisschen bewegt. Für die nächsten Tage ist auch immer stärkerer Wind vorhergesagt. Nach einem Kriegsrat segeln wir vor den einzigen Ort der Insel, Tearavero. Hier liegen wir wieder sehr ruhig. Und außer dem Segelboot der Lehrerin, sind wir die einzigen Segelboote hier. Nur die Großschifffahrt, vor der man uns wegen des enorm breiten Passes gewarnt hat, ist nicht zu übersehen. Vergangenen Sonntag ist einige Zeit nach uns ein riesiger Frachter gekommen und zum Ort gefahren. Am Abend wieder hinaus. Seither haben wir keinen mehr gesehen. Laut Auskunft im Ort kommt er nur alle vierzehn Tage.

Gegen Abend spazieren wir durch das Dorf. Zunächst sind keine Menschen zu sehen, doch bald fahren immer mehr mit Fahrrad oder Auto an uns vorbei. Ob das Neugier ist? Jedenfalls wundern wir uns sehr über die vielen Autos. Anscheinend hat hier jede Familie ein Auto und kein kleines. Dabei gibt es hier großzügig geschätzt bestenfalls 10km Straße. Gegen Ende des Motus lernen wir eine Prudence, Jérémie und Sainté aus Tahiti kennen. Saintés Vater lebt hier in Kauehi. Sie sind jetzt auf Urlaub hier, während der Vater in Tahiti ist. Jérémie, stammt so wie Eric aus Lothringen in Frankreich. Bei einem Urlaub in Tahiti hat er sich in Prudence verliebt und ist geblieben. Sie laden uns für morgen den 14.7. zum Essen ein. Doch sofort pflücken sie für uns Kokosnüsse und wir trinken den Saft zur Erfrischung.

Eric und ich kaufen uns beim Stand hinter dem Supermarkt etwas gegrilltes und sehen während des Essens beim Fußball spielen zu. Ein junger Mann berichtet uns, dass ein kanadisches Boot am Riff gestrandet ist und sie jetzt alles, was man noch verwenden kann, abverkaufen, weil sie das Boot nicht mehr vom Riff herunter bekommen und Geld für den Rückflug benötigen.

Am Vormittag gehen Eric, Walter und Holger mit den Männern zum Harpunen fischen, damit es auch etwas zu Essen gibt. Sie fahren in die Lagunen zu einer Perlenfarm. Eric erzählt mir später, dass es dort ganz nett zum schnorcheln sei. Er ist von den Fähigkeiten Saintés wirklich beeindruckt. Dieser hat früher an Jagdwettbewerben teilgenommen und wie er uns erzählt, waren zu diesem Zeitpunkt Tiefen bis dreißig, vierzig Meter absolut kein Problem für ihn. Dies kann man sich immer noch sehr gut vorstellen, da er sich im Wasser wie ein Fisch bewegt. Er taucht ab, schwimmt etwas herum, legt sich dann auf die Pirsch hinter einen Korallenblock und wartet ab. Wenn Eric dann meinte, jetzt müsse er aber wirklich mal wieder auftauchen und bestätigend zusah, wie er hinter der Koralle herauskam, war es nur um noch weiter abzutauchen. Irre!
Nach ein paar Stunden kommen sie dann mit Fisch im Überfluss zurück.

Währenddessen bäckt Antje frisches Brot und ich einen Kuchen. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Kaum angekommen gibt es schon Poisson cru (roher Fisch mit Zwiebeln, Knoblauch und Zitrone in Kokosmilch, absolut köstlich). Danach dürfen Antje und ich bei der Herstellung einer Nachspeise mithelfen. Mit Kokos verfeinerter Hefeteig muss zu Achtern geformt werden, die danach in Fett ausgebacken werden. Inzwischen wird der Fisch gegrillt. Dazu gibt es gekochtes Kokosbrot, das sieht ähnlich aus wie eine geschälte gekochte Kartoffel und schmeckt etwa wie Manjok und in Teig frittiertes Kokosbrot. Alles wird in viel selbstgemachte Kokosmilch getunkt. Gegessen wird mit den Händen. Zur Nachspeise essen wir außer den gebackenen Achtern noch Crêpes. Wir sind am Platzen. Aber es war echt lecker.
Sie erzählen uns viel über Polynesien. Insbesondere über die Gastfreundschaft. Wenn du beim Essen bist und jemand kommt vorbei, musst du ihn zum Essen einladen. Als Jérémie zu arbeiten begann, war er nicht gewohnt zu Mittag zu essen und hatte nichts dabei. Sofort haben mehrere Kollegen auf ihr Essen verzichtet und es ihm gegeben. Seither nimmt er auch etwas mit.

Bei unserem nächsten Besuch zeigt uns Prudence, wie sie Armbänder aus geflochtenen Palmblättern und Perlmuschelscherben herstellen. Antje und ich versuchen die glatte Seite eines Palmblattes abzuziehen, scheitern aber kläglich. Zur Belohnung bastelt Prudence Armbänder für Antje, Eric und mich. Holger und Walter verzichten darauf.

Am Tag unserer Abfahrt dürfen Holger und Eric mit Prudence, Jérémie und Sainté noch einmal Harpunen fischen gehen, aber dieses Mal nicht nur als Zuschauer. Sie kehren nach einige Stunden zurück, aber Eric ist von seiner Leistung alles andere als begeistert. Er hat nur einen kleinen Fisch geschossen. Er scherzt darüber und meint, er würde auch einen Elefanten in einem schmalen Gang verpassen. Anschließend feiern wir bei uns an Bord Abschied. Aber vielleicht treffen wir sie nochmals in Tahiti, was uns sehr freuen würde.
Abends legen wir ab, durchqueren bei Sonnenuntergang den Pass aus der Lagune heraus und nehmen Kurs auf Toau.

Pünktlich zu Sonnenaufgang kommen wir an den Pass zur Anse Amiot. Das ist eine nette kleine Bucht außerhalb des Atolls Toau, die uns von vielen Seglern speziell wegen der Gastfreundschaft von Valentine und Gaston empfohlen wurde. Wir machen an einer Mooring fest, denn ankern ist hier nicht erlaubt. Außer uns ist noch ein französisches und die Forty-two ein deutsches Segelboot da. Mercedes und Karsten von der Fourty-two hatten wir in Gomera kennengelernt, doch seither nur mehr über Funk von ihnen gehört. Kurz nach uns treffen Freyja und dann auch die Double Moon ein.

An Land werden wir von Valentine freudig begrüßt. Sie zeigt uns ihre Gästebücher, die bis 1985 zurückreichen. Wir finden darin auch Eintragungen von einigen uns bekannten Seglern. Begleitet von einem der Hunde erkunden wir das Inselchen. Bei unserer Rückkehr vereinbaren wir für Freitag ein Abendessen. Für einmal Essen sind die Bojen eine Woche lang gratis.

Mehrmals täglich schnorcheln wir am Riff, das die Bucht zur Lagune von Toau abgrenzt. Hier sieht man zahlreiche Fische und auch wieder Schwarzspitzenriffhaie. Die Korallen sind teilweise so hoch, dass ich erst gar nicht darüber schwimmen will. Aber dort kann man die Fische aus größter Nähe beobachten. Wir bedauern sehr, dass unsere Kamera mit dem Unterwassergehäuse in Panama kaputt ging und wir erst in Tahiti eine neue kaufen können. So können wir die Haie und Rochen nur von außerhalb des Wassers photographieren. Sehr interessant sind auch die Fischfallen. Riesige Käfige im Wasser, der Eingang ist einfach eine riesige Öffnung im Gitter, doch durch die Art wie Fische sehen, können sie diese nicht sehen und bleiben dadurch gefangen. In den Fallen sind sicher hundert Fische gefangen, sogar mehrere Schwarzspitzenriffhaie schwimmen nervös im Kreis. Gaston braucht nur mit einem kleinen Netz hinein und kann die gewünschten Fische herausholen. Die Haie entlässt er wieder in die Freiheit.

Am Freitag fährt Walter von der Double Moon gemeinsam mit der Fourty-two nach Tahiti. Walter will ja vor Beginn der Hurrikan-Saison in Australien ankommen und muss sich daher etwas mehr beeilen als wir. Auch das französische Boot ist bereits abgefahren. Doch wir bleiben nicht lange alleine mit Freyja, ein italienisches Boot und eine österreichische Familie auf einem Charter-Katamaran kommen an und wir plaudern viel mit Marina und Paul. Damit alle am Essen teilnehmen können, wird der Termin auf Samstag verschoben. Valentine wird ihrem Ruf als gute Köchin absolut gerecht. Auf verschiedenste Arten zubereiteter Fisch, Poisson cru, Hühnchen und alle möglichen Beilagen, ein richtiges Festmahl. Nach dem Essen greifen Valentine, Gaston, Turo, der Skipper der Österreicher und der dritte Einwohner dieses Motus nach ihren Instrumenten und singen dazu.

Am nächsten Tag ist Sonntag und auf Einladung Valentines besuchen wir gemeinsam mit Antje und Holger die Kirche. In der liebevoll geschmückten Kapelle hält Valentine den Gottesdienst. Wir bekommen die Texte der Lieder, teils französisch teils polynesisch, und versuchen die einfachen Melodien mitzusingen. Valentine predigt mit viel Freude, voller Hingabe und Humor. Sie erzählt viele bildreiche Geschichten, dazwischen müssen wir Fragen beantworten. Abends werden alle zum Essen eingeladen. Leider kann Marina nicht daran teilnehmen, weil Gabriel, ihr Sohn, müde ist und sie ihn nicht alleine am Boot lassen kann. Das will Antje mir erklären und sagt: „Der Lüttje ist müde“, „Ich dachte er heißt Gabriel?“ Antje, die meine Frage nicht versteht, wiederholt: „Der Lüttje ist müde und muss ins Bett“. Ich stutze, und frage dann doch noch nach: „Aber wieso denn Lüttje, heißt er denn nicht Gabriel?“ Und erst da versteht Antje, dass wir den Ausdruck „Lüttje“ nicht kennen. Das heißt „klein“. Und danach fällt uns erst auf, wie oft sie Lüttje sagen.

Am nächsten Tag streifen wir nochmals über die Insel und verewigen uns im Gästebuch. Danach nehmen wir Abschied von Valentine und Gaston.
Am 26. Juli legen wir nach Tahiti ab.